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Montag – Anreise
4. August 2014 um 10.30 Uhr: Am Münchner Hauptbahnhof findet sich eine kleine Gruppe ein, die Großes vor hat, etwas, das vor wenigen Jahren noch gar nicht möglich war. Und man erntet immer noch ungläubiges Staunen, wenn man erzählt, dass man mit dem Zug nach London fahren will. Ohne Fähre, ohne Flugzeug, ganz einfach unten durch!
Pünktlich erreichen wir die beiden Umsteigebahnhöfe in Frankfurt und Brüssel. Inzwischen sind wir immerhin 8 Leute.
Der Check-In in Brüssel ist wie auf einem Flughafen. In einer Halle unter den Bahnsteigen ist eine Sicherheitskontrolle. Man soll eine halbe Stunde dafür einplanen und das wird auch in der Reisekette berücksichtigt. Es geht wohl auch knapper, aber die wollen natürlich nicht, dass alle auf den letzten Drücker gleichzeitig kommen. Das Gepäck behält man. Nach oberflächlicher Begutachtung der Reisepapiere geht es durch eine Sicherheitsschleuse, wo die Koffer und alle Metallgegenstände separat durch müssen. Dann landet man in der Lounge. Da wir uns den Luxus einer Ersten-Klasse-Fahrt gönnen und einer eine BahnCard hat, dürften wir eigentlich in die Premium-Lounge. Doch die wird gerade renoviert und deshalb gibt es nur Gutscheine für ein Getränk.
Nach Aufruf geht es dann die Treppe hoch zum Eurostar. Auf dem Bahnsteig sind groß die Wagennummern aufgemalt und vor jeder Tür steht einer, der nochmal auf die Platzkarte schaut. Pünktlich geht es los und mit 300 km/h brettern wir durch die platte Landschaft. Einziger Zwischenhalt ist in Lille. Eine Mahlzeit mit Getränken und Dessert wird aufgetischt. Das rechtfertigt schon fast alleine den Mehrpreis für die 1. Klasse.
Kurz vor Calais wird das Tempo auf 160 km/h reduziert, es wird dunkel. Besonders spektakulär ist das Landsschaftserlebnis im Tunnel freilich nicht. An der tiefsten Stelle ist man 75 m unter dem Meeresspiegel, also ca. 40 m unter dem Meeresgrund.
Nach 20 Minuten wird es wieder hell Wir sind jetzt auf der englischen Strecke „High speed 1“. Kurz nach Ebbsfleet gibt‘s nochmal einen Tunnel unter der Themse, dann eine lange Talbrücke über Purfleet und gleich hinter der Stadtgrenze von Greater London verschwindet der Zug wieder im Tunnel. Etwas Tageslicht gibt es nochmal beim Olympia-Bahnhof Stratford International, und erst kurz vor dem Endbahnhof St Pancras wird wieder die Oberfläche erreicht. Die ganze Fahrt hat ab München genau 10 Stunden gedauert. Wir dürfen eine weitere Stunde abziehen, denn die Uhren werden zurückgestellt.
Der Bahnhof St Pancras wurde von 2004 bis 2006 renoviert und für den Eurostar und den Kent-Express (ein Regionalexpress auf der „High speed 1“) hergerichtet. Im Regional- und Fernverkehr spielt der Bahnhof dagegen eine eher mittelmäßige Rolle. Es gibt auch noch die unterirdischen Bahnsteige der S-Bahn-ähnlichen Thameslink-Linie, die London in Nord-Süd-Richung durchqueren. Nachdem wir die eindrucksvolle Bahnsteighalle begutachten, tauchen wir wieder in den Untergrund ab. Vom neugotischen Zuckerbäckerstil des Bahnhofsgebäudes mit dem angrenzenden Luxushotel sehen wir nichts. Das erste Mal ist Schlangestehen angesagt und wir kaufen und laden eine Oyster-Card.
Das ist eine Plastikkarte für alle Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Und die ist so schlau, dass sie bei mehreren Fahrten am Tag maximal eine Tageskarte für die bis dahin befahrenen Zonen berechnet. Beim Betreten und Verlassen eines Bahnhofs oder einer U-Bahn-Station muss man die Karte an einen auffälligen gelben Punkt halten, dann macht es „Piep“, es erscheint kurz der abgezogene Fahrpreis und das Restguthaben auf einem Display und die Sperre geht auf. Busse betritt man immer durch die vordere Tür und „oystert“ sich dort ein (unter Aufsicht des Busfahrers) und da Buslinien immer nur der Einstiegszone zugeordnet sind, wird beim Aussteigen nicht ausgeoystert. Dann kann man es auch nicht vergessen. Verkehrsmittel, die einen Sonderpreis kosten, wie z.B. die Emirates Air oder die Fähren, können auch „geoystert“ werden, da wird dann einfach mehr abgezogen.
Erst als wir in der U-Bahn sind kommt allmählich das London-Gefühl auf. Der Berufsverkehr ist zwar längst vorbei, es ist aber immer noch recht quirlig. In den runden Zügen (Röhren = Tube) kann man nur in der Mitte stehen. Mit einem Umsteigen erreichen wir den Bahnhof West Brompton und nach einem Fußweg von ein paar hundert Metern die Unterkunft. Das erste Mal werden wir mit dem Linksverkehr auf den viel zu schmalen, dafür umso hektischer befahreren Straßen konfrontiert. Das ist schon gewöhnungsbedürftig und wenn man außerhalb der gesicherten Übergänge die Straßen überquert auch gefährlich, weil man unweigerlich immer in die falsche Richtung schaut.
Dienstag – Londoner Verkehrsmittel
Zuerst haben wir uns das Kennenlernen der verschiedenen Verkehrsmittel vorgenommen. Die Standard-Sehenswürdigkeiten stehen nicht auf dem Plan, schließlich lautet das Motte der Reise „London – wo es keiner kennt“. Aber wenn wir wo vorbeikommen, dann werden wir auch nicht wegschauen.
Der 74er-Bus fährt vor dem Hotel, wir nehmen ihn bis zum Victoria&Albert-Museum. Als erstes schauen wir in die imposante Brompton Oratory Church, sie ist die zweitgrößte katholische Kirche Englands.
Zu Fuß geht es zum nächsten Tempel, nämlich zum Konsumtempel „Harrods“. Das Kaufhaus war mal Hoflieferant, gehört inzwischen einem Investor aus Katar und weil das Königshaus „not amused“ über diverse Äußerungen des Scheichs war, wird es jetzt boykottiert. Aber die Lebensmittelhallen im Erdgeschoss sind schon eine besondere Sehenswürdigkeit. Im Keller gibt es einen Lady-Diana-Gedächtnisbrunnen und dort hin gelangt man über den „Egytian Escalator“, also die „ägyptische Rolltreppe“. Damit wir nicht nur zum Gaffen da sind kauft einer einen Stadtplan.
Mit der U-Bahn geht es dann zum Piccadilly Circus. Der Platz war nie ein Kreisverkehr, lediglich die vier Eckhäuser hatten mal konkave Rundungen. Inzwischen sind die alten Häuser verschwunden, es sind noch ein paar Straßen hinzugekommen und es darf nur noch an einem Haus großflächige Werbung angebracht werden. Nach ein paar Hundert Metern Fußweg erreichen wir den Trafalgar Square, die „Mitte der Welt“, wie die Engländer gerne behaupten. Nach einem kurzen Besuch der Kirche St. Martin-in-the-Fields geht es ein paar Meter zum Bahnhof Charing Cross. Von dort fährt die letzte Linie mit den legendären Routemaster-Bussen, also den roten Doppeldeckern mit hinten offener Plattform, die jahrzehntelang des Erscheinungsbild Londons prägten. Es gibt nur noch die Linie 15, die vorletzte Linie 9 wurde eine Woche vor unserem Besuch eingestellt. Die Busse fahren auf einem Teilstück bis zum Tower zwischen den normalen Kursen der Linie 15 im Viertelstunden-Takt. Das Verkehrschaos schlägt voll zu, für die knapp 4 km brauchen wir fast eine Stunde. Ob die Fahrt einen Sonderpreis kostet oder ob das normaler TFL-Tarif ist, wissen wir nicht und werden es auch nie herausbekommen.
Mit der U-Bahn fahren wir nach Stratford. Erst mit einem Großprofil-Zug der District Line und dann mit einem Kleinprofil-Zug der Central Line. Um die vielen Londoner Kopfbahnhöfe zu verbinden baute man zunächst das, was heutzutage unter „Circle Line“ bekannt ist, in einem überwiegend oben offenen Graben, der mit Dampfzügen betrieben wurde. Das Ganze freilich unter lauter verschiedenen Firmen, die heftig aneinander vorbei bauten. Die Namen der Bahngesellschaften finden sich teilweise noch unter den heutigen Linienbezeichnungen „Metropolitan“ und „District“. Die von vorne herein elektrischen – teilweise sehr tief liegenden – Tubes (also „Röhren-Bahnen“) haben ein sehr enges rundes Tunnelprofil in das die ebenfalls runden Züge gerade hinein passen. Normalerweise haben auch die unterirdischen Bahnhöfe sowie die Zugangstunnel und -schächte runde Querschnitte. Auch das waren ursprünglich verschiedene Gesellschaften, von denen heutzutage die Linienbezeichnungen „Northern“, „Central“, „Piccadilly“ und „Bakerloo“ übrig sind. Um 1900 kaufte der Amerikaner Charles Tyson Yerkes alle Linien auf und vereinheitlichte das System. 1933 wurde das Ganze in ein öffentlich-rechtliches Unternehmen übertragen. Später kamen dann noch die Linien „Jubilee“ und „Victoria“ hinzu.
Zunächst besichtigen wir den Bahnhof Stratford. Die komplexe Anlage ist Turmbahnhof, Keilbahnhof und Berührungsbahnhof zugleich und wäre mit dem entsprechenden Umfeld eine echte Herausforderung für jeden Modellbahn-Bastler. Nördlich des Bahnhofs wurde ein völlig neuer Stadtteil aus dem Boden gestampft. Zum reichlich späten Mittagessen verteilen wir uns auf mehrere Lokale.
Allmählich wird die Zeit knapp und so tangieren wir das neu eröffnete Olympiagelände nur. Der Olympiapark war vorher ein ziemlich heruntergekommenes Industriegelände. Neben dem Olympiastadion, das inzwischen zu einem Fußballstadion zurückgebaut wurde, steht ein merkwürdiges Gebilde, das ausschaut, als hätte einer die Pläne für eine Achterbahn durcheinandergebracht. Das Ding heißt „ArcellorMittal Orbit“, ist die größte Skulptur Großbritanniens und soll ein Aussichtsturm mit deutlich über 100 Metern Höhe sein. Angesichts des Wucherpreises für den Eintritt verzichten wir auf die Besteigung.
Nach kurzem Herumirren gelangen wir zum Bahnhof „Stratford International“. Hier rauschen die Eurostar-Züge durch und es verkehrt ansonsten nur der „Kent-Express“, ein Regionalexpress auf der Eurostar-Neubaustrecke nach Ebbsfleet oder Ashford und dann als Bummelbahn weiter. In der Nähe ist eine Haltestelle der Docklands Light Railway (kurz DLR). In Deutschland würde man „Stadtbahn“ dazu sagen. Einen Fahrer gibt es aber nicht, das Ding fährt vollautomatisch. So kann sich jeder mal vorne hinstellen und so tun, als würde er den Zug sicher über die Weichen manövrieren.
1987 wurde die erste Strecke eröffnet, inzwischen hat sich das System zu einem verzweigten Streckennetz mit mehreren Linien entwickelt. Wir fahren zunächst nach Stratford und steigen dort um in den Zug nach Canary Wharf.
Dort empfängt uns eine futuristisch anmutende Haltestelle, die in die umliegenden Hochhäuser integriert ist. Die alten Hafenanlagen, die hier früher waren, sind durch die modernen Container-Terminals, die jetzt weiter draußen sind, überflüssig geworden. Zwischen 1960 und 1980 wurden alle Docks geschlossen, die Bewohner verarmten. Seit Mitte der 1980er-Jahre haben sich die Docklands zu einem Geschäftszentrum und zu einer exklusiven Wohnlage entwickelt. Nicht alle alten Lagerhäuser und Werften wurden abgerissen, sondern wurden in Appartementhäuser und Einkaufszentren umgewandelt. Die ehemaligen Docks werden als Yachthäfen oder Wassersportzentren verwendet.
Wir schauen uns noch etwas um und gehen dann zur U-Bahn-Station Canary Wharf. Die weitläufige Bahnsteighalle, die in krassem Gegensatz zu den engen Stationen der Innenstadt steht, entstand durch die Trockenlegung eines Docks. Wie bei allen neuen Bahnhöfen der Jubilee-Line gibt es hier Bahnsteigtüren.
Wir fahren nur eine Station weiter nach North Greenwich. Das ist eine Halbinsel in einer Themseschleife. Von den ehemaligen Industrieansiedlungen ragt nur noch das ungenutzte Gerüst eines Gaskessels als Denkmal in den Himmel. Ein großer Teil der Halbinsel wird von der Ausstellungs- und Veranstaltungshalle „The O2“ eingenommen, die zur Jahrtausendwende unter dem Namen „Millenium Dome“ gebaut wurde. Wir gehen aber direkt zur Station „Greenwich Peninsula“ der „Emirates Air Line“. Was macht die Fluggesellschaft hier? Ganz einfach, sie betreiben in der völlig platten Landschaft eine Luftseilbahn. Die müssen wir freilich auch ausprobieren. Über drei Masten und gut 50 Meter über der Themse erreichen wir die Station „Royal Docks“.
Eine hohe Brücke bringt uns dann über einen der Docks und dann geht es durch eine Siedlung zur DLR-Station „West Silvertown“. Mit der DLR fahren wir am City-Airport vorbei und erreichen die Station „King George 5“. Wiederum geht es zu Fuß durch eine Siedlung, in der normalerweise garantiert keine Touristen vorbei kommen. Nach ein paar hundert Metern erreichen wir am Themse-Ufer ein kleines freistehendes rundes Gebäude mit einer Kuppel. Innen erwarten einen eine Treppe und ein Aufzug in die Tiefe. Unten angekommen gibt es den 504 m langen Woolwich-Fußgängertunnel, der unter der Themse hindurchführt. Drüben geht es wieder hinauf und nach einem kurzen Marsch entlang der Themse erreichen wir den Woolwich Arsenal Pier. Der Name lässt bereits vermuten, dass das mal ein Militärgelände war. Tatsächlich stehen noch einige kasernenähnliche Gebäude herum, dazwischen ein paar Kanonen und etliche lebensgroße Bronze-Soldaten. Drum herum wurden neue Wohnungen gebaut.
Mit einem Schnellboot-Katamaran (28 kn, das sind etwas mehr als 50 km/h) brettern wir über die Themse zurück in die Stadt. Gleich nach der Abfahrt passieren wir die Thames Barrier. Das ist ein gigantisches Wehr, das die Stadt vor Sturmfluten schützen soll. Wir verlassen das Schiff an der Station Blackfriars, gleich unterhalb des Bahnhofs. Dort soll es eine ganz tolle Kneipe geben. Wir entdecken sie auch bald. Beim Näherkommen entpuppt sich das dann als winziges dreieckiges Haus, das zwischen Bahnhof und Straße eingezwängt ist. Auf einer kleinen Wiese vor der Kneipe tummeln sich etwa 100 Gäste beim Rauchen und Trinken, es liegen überall Flaschen und Biergläser herum und innen ist es „bumsvoll“. Mehr als 30 Leute würden hier sowieso nicht herein passen. Mit den „Geheimtipps“ ist das eben immer so eine Sache...
Über verwinkelte Wege und Tunnels erreichen wir die U-Bahn und fahren zum Hotel, um dort was zu essen.
Mittwoch – Bluebell Railway und Croydon Tram
Wir haben heute eine spezielle Eisenbahn-Köstlichkeit ausgewählt, für einige Reiseteilnehmer aber eine Wiederholung vom letzten Jahr. Wir fahren zunächst zum Bahnhof Victoria. Dort besorgen wir uns „Off-peak-Group-save-Return-Tickets“, die einzige Möglichkeit, halbwegs preisgünstig Bahn zu fahren. „Off-peak“ heißt außerhalb des morgendlichen Berufsverkehrs (in der Regel ab 9.30 Uhr), „Group-save“ heißt Minigruppe ab 3 Personen, und „Return“ ist die Rückfahrkarte, die nur einen winzigen Mehrpreis gegenüber der einfachen Fahrt kostet. Jeder bekommt zwei Fahrkarten, ein „Out“-Ticket nach East Grinstead und ein „Return“-Ticket nach „London Terminals“. Ein paar Minuten vor der Abfahrt wird auf der großen Anzeigetafel die „Platform number“ angezeigt, dann rennen alle Leute durch die automatischen Bahnsteig-Sperren. Mit einem 12-Wagen-Zug fahren wir in die Kleinstadt südlich von London. Wir haben einen ganzen Wagen für uns alleine. Beim Verlassen des Zielbahnhofs werden die Fahrkarten von der Sperre geschluckt.
In East Grinstead beginnt die „Bluebell Railway“, die älteste Museumsbahn Englands und benannt nach den blauen Glockenblumen, die in der Gegend wachsen. Die schönen, über 100 Jahre alten, Metropolitan-Wagen sind leider nicht da, deshalb müssen wir uns mit einem 50er-Jahre-Fuhrpark begnügen. Wir fahren bis Sheffield Park, der südlichen Endstation. Die Gruppe verteilt sich zum Besichtigen der verschiedenen Attraktionen und findet zur letzten Fahrt wieder zusammen.
Später erfahren wir, dass die Metropolitan-Wagen und die dazugehörenden Dampfloks für ein Dampf-Spektakel auf der Londoner Circle Line abgezogen wurden. Das wäre freilich auch ein Ereignis gewesen: mit dem Dampfzug durch die Londoner U-Bahn...
Auf dem Rückweg von East Grinstead verlassen wir den Zug in East Croydon. Da wir die Fahrkarte noch nicht vollständig abgefahren haben bekommen wir sie von der Bahnsteigsperre zurück.
Ein Londoner Verkehrsmittel fehlt uns noch: die Trambahn. Bei der Trambahn muss man sich vor Betreten des Fahrzeugs an der Haltestelle „einoystern“. Mit der Linie 3 fahren wir nach New Addington. Teilweise ist das eine Überlandstrecke mit großen Haltestellenabständen. Sogar ein alter Eisenbahntunnel ist dabei. An einem längeren Abschnitt geht es steil bergauf, nicht so steil wie in Würzburg oder Stuttgart, dafür aber „was das Zeug hergibt“. Und das Zeug gibt viel her! Die Bahn brettert mit über 80 km/h den Berg hinauf und überwindet ca. 100 Höhenmeter.
In New Addington, einer halbwegs schmucken Neubausiedlung im äußersten Südosten Londons, schauen wir uns ein paar Minuten um, dann besteigen wir die nächste Bahn nach Wimbledon (diesmal ohne SEV). Erst mal geht es über die bereits bekannte Strecke zurück nach East Croydon, dann über enge Straßen mit der kleinen Fußgängerzone durch Croydon und schließlich über eine ehemalige Bahnstrecke nach Wimbledon. Die Trambahn fährt nur in West-Richtung durch die Croydoner Altstadt, für die Gegenrichtung ist die Straße zu eng und deshalb geht das dann – wenig spektakulär – über eine große mehrspurige Straße außen herum. Wimbledon ist die einzige Trambahn-Haltestelle, wo man sich „ausoystern“ muss, auch wenn man mit dem Zug oder der U-Bahn weiterfährt. Wir machen das auch und fahren mit der District Line direkt nach West Brompton zum Hotel.
Donnerstag – Hampton Court
Der nächste Tag ist dann wieder eher touristisch geprägt, teilweise auch eine Wiederholung vom letzen Jahr. Wir fahren mit der U-Bahn bis Embankment. Von dort fährt ein Flussschiff nach Hampton Court, einem der wichtigsten Schlösser Englands im äußersten Südwesten Londons. Die Schifffahrt beginnt in unmittelbarer Nähe des House of Parliament, trotzdem kann man den berühmten Big-Ben-Uhrenschlag bei dem allgegenwärtigen Krach kaum hören.
Die Fahrt geht mehrere Stunden flussaufwärts bis zur Richmond Lock. Das ist ein Stauwehr, das verhindern soll, dass das Oberwasser der Themse bei Ebbe zu viel Wasser verliert. Bei Tidehochwasser kann man einfach durch das dann offene Wehr hindurch fahren, bei Niedrigwasser ist das Wehr geschlossen und die Schiffe müssen durch die Schleuse. Die Auswirkungen der Gezeiten reichen dann noch bis zur nächsten Schleuse, der Teddington Lock.
Am Nachmittag erreichen wir Hampton Court. Da es auf dem kleinen Schiff nichts gab, stürmen wir erst mal das Schloss-Café. Einige, die letztes Jahr nicht dabei waren, besichtigen das Innere des Schlosses, der Rest widmet sich den Außenanlagen, die damals etwas zu kurz gekommen waren. Dabei entdecken wir sogar einen Affenschwanzbaum („Monkey puzzle tree“ oder „Chilenische Araukarie“) mit seinen harten spitzen Blättern.
Diesmal besichtigen wir auch den Bushy Park, der direkt nördlich an die Parkanlagen von Hampton Court angrenzt. Wir müssen nur die stark befahrene Straße überqueren, dann laufen wir über eine weite Graslandschaft mit einzelnen Baumgruppen. Im Park gibt es auch ein eingezäuntes Gelände mit besonderen Pflanzen. Exotisch wirkendes Geschrei in den Baumwipfeln lässt und nach oben blicken und wir entdecken Horden von freilebenden Papageien. Die Schnäbel sind selbst bei großer Entfernung unverkennbar. Anscheinend sind es Halsbandsittiche, die in Südengland mittlerweile in größeren Populationen anzutreffen sind. Als wir dann auch noch Palmen in den Vorgärten der benachbarten Siedlung sehen, wundern wir uns über gar nichts mehr. Anscheinend wird es hier im Winter nicht richtig kalt und London ist Multikulti nicht nur bei den menschlichen Einwohnern.
Vom Bahnhof Teddington fahren wir nach Richmond, denn wir wollen wieder den bayerischen „Stein‘s“ Biergarten an der Themse besuchen. Da waren wir im letzten Jahr auch und einige werden sogar vom Personal wiedererkannt und entsprechend begrüßt. Leider gibt es am Schluss einigen Missmut, weil die Schänke so plötzlich geschlossen wird, dass ein Teil der Gruppe plötzlich ohne Getränk dasteht, obwohl andere nur wenige Sekunden vorher noch ein Bier bekamen. Das Personal beschwichtigt und will sich entschuldigen (und vielleicht sogar noch ein Bier rausrücken), aber der Hausdrachen ist unerbittlich. Letztendlich führt das dazu, dass wir den Biergarten nicht mehr aufsuchen werden.
In Ortszentrum von Richmond finden wir ein Pub mit Außenbereich, wo wir noch wesentlich länger draußen sitzen können. Nachdem wir entdecken, dass man umsteigefrei mit dem Bus zum Hotel fahren kann, wollen wir das machen. Der fährt abends im 30-Minuten-Takt, aber ausgerechnet unsere Fahrt fällt unangekündigt einfach aus. Inzwischen werden wir von einer äußerst gesprächsbereiten Lady zugetextet. Der nächste Bus ist dann pünktlich und so kommen wir ins Hotel zu einer Zeit wo die U-Bahn längst nicht mehr fährt...
Freitag – St Albans
Ausnahmsweise gibt es heute Kultur, freilich auch mit viel Eisenbahn. Interessanterweise bekommen wir bereits in West Brompton die dazu passenden Fahrkarten, so dass wir an diesem Tag nicht „oystern“ müssen. Zunächst fahren wir mit der Overground nach West Hampstead.
Die „London Overground“ ist ein S-Bahn-ähnliches Eisenbahnnetz. Die Linien bilden im Prinzip zwei Halbkreise, die sich in Clapham Junction und Highbury & Islington treffen. Beide Halbkreise haben Verzweigungen in die äußeren Vororte und teilweise auch drüber hinaus. Das Netz gehört zu National Rail, der Betrieb wird von TFL bestellt. Die Overground in der heutigen Form gibt es seit 2006, die ehemalige East London Line der U-Bahn wurde für den S-Bahn-Betrieb umgebaut und in das Overground-Netz integriert.
Der Bahnhof West Hampstead ist geteilt. Vom Overground-Bahnhof müssen wir hinaus auf die Straße und ein Stück weiter in den Thameslink-Bahnhof. Der Thameslink ist auch sowas wie eine S-Bahn, die das Londoner Zentrum im Snow-Hill-Tunnel unterquert und somit die einzige Bahnverbindung im Innenstadtbereich zwischen den nördlichen und südlichen Stadtteilen herstellt.
Wir lassen einen Zug wegfahren, weil der bis St Albans zu oft hält. Mit dem nächsten Zug sollten wir auf der 4-gleisigen Strecke den ersten Zug überholen und dann 2 Minuten eher in St Albans sein. Aber der Zug hat etwas Verspätung. Egal, denn in der Zwischenzeit bekommen wir mehrere durchrasende Dieseltriebzüge präsentiert, die aus den ehemaligen IC125-Zügen entstanden sind. Der IC125 war in den 80er-Jahren das Aushängeschild der damaligen British Rail für Hochgeschwindigkeitszüge. 125 mph (also 200 km/h) schnell sind die Züge, was für einen Dieseltriebzug eine nicht zu unterschätzende Leistung ist.
Gleichzeitig mit dem Bummelzug treffen wir in St Albans ein. Vom Bahnhof führt eine eher langweilige Einkaufsstraße zum Zentrum der immerhin 140.000 Einwohner zählenden Provinzstadt. Genau als wir den Marktplatz erreichen erwischt uns ein heftiger Regenschauer. Wir können gerade noch in den Eingangsbereich eines Ladens flüchten. Eine halbe Stunde dauert der Spuk. Vorsichtig machen wir uns auf den weiteren Weg.
Das Ziel ist die St Albans Abbey, ein ehemaliges Kloster, das dem ersten christlichen Märtyrer Britanniens, dem römischen Soldaten Alban aus dem Jahr 314 gewidmet ist. Heutzutage gibt es hier nur noch die riesige Kirche mit Ursprüngen aus dem 11. Jahrhundert mit etlichen Erweiterungen, die im Laufe der Zeit hinzu gekommen sind.
Eine ganze Stunde besichtigen wir die Kirche, die sogar bei unseren Heiden Gefallen findet. Inzwischen ist der nächste Regenschauer durch. Der kleine Fluss Ver, der bereits der römischen Stadt Verulamium den Namen gab und immer noch so heißt, weist uns den Weg zum römischen Museum. In der Nähe gibt es ein Café und wir stärken uns erst mal. Schließlich besichtigen wir nur die Reste des römischen Theaters und lassen das Museum weg.
Vom Bahnhof St Albans Abbey treten wir die Rückfahrt an. In Watford Junction müssen wir umsteigen. Eigentlich sollten wir die Overground nach Willesden Junction nehmen und von dort mit der anderen Overground nach West Brompton, wir ziehen es aber vor, den Schnellzug nach Euston zu nehmen. Aber anscheinend gilt dort unsere Fahrkarte nicht mehr. Die Ausgangssperre verweigert uns den Durchgang. Der schwarze Aufpasser wird aufmerksam, kommt und kontrolliert die Fahrkarten, dann macht er das Tor auf und lässt uns problemlos raus.
Ein Teil der Gruppe trollt sich, der harte Kern will noch den östlichen Ring der Overground befahren. Dazu geht es erst mal mit der Victoria Line nach Highbury & Islington. Wir suchen den passenden Bahnsteig, aber da erwartet uns schon eine Anzeige, dass die Linie außer Betrieb ist. Dazu ständige Ansagen. Es scheint ein Problem mit der Strecke zu geben, es ist aber nicht herauszubekommen, ob die ganze Strecke betroffen ist. Zumindest von hier fährt kein Zug mehr auf die East London Line. Dann fahren wir halt auf dem westlichen Ring, aber größtenteils kennen wir die Strecke schon.
Samstag – Ruislip Lido Railway mit Wanderung nach Watford
Weil auf der U-Bahn zwischen Rayers Lane und Uxbridge Schienenersatzverkehr ist meiden wir den Abschnitt und fahren mit der Central Line nach West Ruislip. Ein kurzes Stück geht es dann doch mit dem SEV-Bus, dann mit einer anderen Linie zum Ruislip Lido.
Dort gibt es die Ruislip Lido Railway. Die kleine Bahn hatten wir letztes Jahr auch schon im Programm, da war aber nur die Hälfte der Strecke befahrbar und wir hatten den Rest des Tages völlig anders gestaltet. Heute ist nach der Fahrt mit der Kleinbahn eine größere Wanderung vorgesehen.
Wir gehen gleich zum Kleinbahnhof Woody Bay, der gleich neben dem Badestrand ist. Wir entscheiden uns für eine einfache Fahrt auf der 1,6 km langen 305-mm-Bahn. Leider kommt die erhoffte Dampflok nicht zum Einsatz. Die Fahrt ist trotzdem ganz nett und in Willow Lawn angekommen stürmen wir das Wirtshaus.
Obwohl das eine Ausflugsgaststätte ist, gibt es hier zu ausgesprochen günstigen Preisen ein Mittagsgericht. Nur sonntags kostet es zwei Pfund mehr. Frisch gestärkt brechen wir zur Wanderung auf. Zunächst geht es durch den Wald, dann zwischen einer Siedlung und einem Golfplatz hindurch. Wir erreichen den Stadtteil Northwood an der nördlichen Stadtgrenze. Es gibt hier einen Weg entlang der Metropolitan Line, der erweist sich aber als sehr eng und teilweise so mit Brennesseln überwuchert, dass erst mal die mit langen Hosen bewaffneten Mitwanderer die Brennesseln niedertreten müssen. Der Ausblick auf die Bahnstrecke ist eher dürftig. Nach einiger Zeit kreuzt ein eiserner Fußgängersteg die Bahn und unseren Weg, der ist gleichzeitig die Stadtgrenze und interessanterweise wird der Weg danach besser.
Kurz vor dem Bahnhof Moor Park teilt sich die Gruppe. Die einen gehen den offiziellen London Outer Orbital Path (LOOP – ein Wanderweg rund um London), der aber diagonal über einen weiteren Golfplatz führt. Die anderen wollen nicht von Gummi-Meteoriten getroffen werden und gehen außen herum über den Bahnhof Moor Park. Am Ende der Straße, die durch eine exklusive Siedlung führt, trifft man sich wieder. Entlang eines Sees und an einer Farm vorbei treffen wir auf die ehemalige Trasse der Watford-and-Rickmansworth-Railway, die jetzt ein Radwanderweg ist. Wir folgen der Trasse ein längeres Stück, dann geht es durchs Croxley Moor zum Grand Union Canal. Inzwischen wäre wieder dringend eine Einkehr angesagt. Es ist aber weit und breit nichts passendes zu finden. Eine ältere Dame schickt uns dann den Berg hinauf zum Bahnhof Croxley und da ist tatsächlich ein herrliches Pub mit einer ruhigen Terrasse hinter dem Haus. Und nach zwei Pint of shandy (Radler) sind wir wieder einsatzfähig.
Erst mal müssen wir wieder hinunter zum Kanal. Da gibt es eine handbetriebene Schleuse für die auf dem Kanal üblichen Hausboote. Der Güterverkehr auf den teils uralten Kanälen ist durch den Bahn- und Lkw-Verkehr ziemlich eingebrochen und nach einem strengen Winter 1962/63, als wochenlang die Kanäle zugefroren waren, endgültig zum Erliegen gekommen.
Es gibt noch den Treidelweg neben dem Kanal und so können wir ein längeres Stück dem Kanal folgen. Bei der nächsten Schleuse können wir zuschauen, wie einer ganz allein sein Hausboot durchmanövriert, dann gelangen wir an den U-Bahn-Viadukt. Da werden wir bald drüber fahren. Schließlich erreichen wir die dritte Schleuse im naturbelassenen Cassiobury Park und wenden uns Richtung Watford Underground Station. Unterwegs treffen wir noch auf die Watford Miniature Railway, die anscheinend ein größeres Netz mit 260mm Spurweite betreibt, aber zu der fortgeschrittenen Stunde den Betrieb längst eingestellt hat.
Gleich erreichen wir den Bahnhof und fahren mit der Metropolitan Line zur Baker Street. Dort besichtigen wir noch den kathedralenartigen Bahnsteig der Circle Line mit den merkwürdigen Lichtöffnungen, fahren dann aber mit der Jubilee Line über Westminster, wo der riesige futuristische Schacht zwischen den U-Bahn-Ebenen nochmal für Aufsehen sorgt.
Sonntag – LT Museum und Overground-Rundfahrt
Es ist zunächst mal Dauerregen angesagt. Wir nutzen die Gelegenheit, das Museum of London Transport zu besuchen. Mit der U-Bahn geht es erst mal zum Covent Garden. Der Ausgang ist nur über Aufzüge möglich. Die Treppen sind nur für Notfälle und es wird ausdrücklich davor gewarnt, die zu benutzen, denn die Anzahl der Stufen entspricht 15 Stockwerken eines Hochhauses. Oben angekommen erwartet uns heftiger Regen aber unter Ausnutzung diverser Arkadengänge erreichen wir das Museum fast trocken.
Das Museum sollte man von oben nach unten besichtigen. Im 2. Stock gibt es diverse Exponate über den Verkehr im Mittelalter und die Anfänge eines eisenbahnähnlichen Betriebs. Im 1. Stock sieht man die U-Bahn des 19. Jahrhunderts, wobei der Schwerpunkt auf der Metropolitan und der Siedlungsentwicklung im sog. „Metro-Land“ liegt. Im Erdgeschoss sind in erster Linie verschiedene Bus-Typen, die Liniennetzpläne diverser Trambahn-Gesellschaften und die Entwicklung der U-Bahn im 20. Jahrhundert zu sehen. Das Museum ist ziemlich kindgerecht gestaltet, was man daran merkt, dass die Erklärungstafeln manchmal recht tief angebracht sind und man sich manchmal hinknien muss, um bestimmte Projektionen oder Effekte perspektivisch richtig zu sehen. Fazit nach zwei Stunden: interessant, aber nicht unbedingt ein Muss für Eisenbahnfreunde. Die Artikel des großen Museums-Shops schrammen gerade so an der Grenze zum Kitsch entlang: die üblichen Tassen und T-Shirts, Kuscheltiere und Flaschenöffner mit Underground-Logo, bis hin zum Duschvorhang mit Liniennetzplan. Wer den versteckten Eingang ins Obergeschoss des Shops findet, kann dagegen im gut bestückten Buchladen schmökern.
Den halben Nachmittag verbringen wir mit der krampfhaften Suche nach einem Café, wo eine traditionelle Tee-Zeremonie zelebriert wird. Erst suchen wir in den Markthallen der Covent Garden Piazza, dann in der ganzen Umgebung. Am Schluss landen wir in einem Ketten-Café ohne Zeremonie.
Danach teilt sich die Gruppe, denn der Ostring der Overground ist ja immer noch nicht erforscht. Also erst mal wieder mit der U-Bahn nach Highbury & Islington, dann auf den Overground-Bahnsteig. Wir kennen uns ja schon aus. Inzwischen fährt die Bahn wieder. Zuerst fahren wir über die 70 Jahre unbenutzten Stadtbahnbögen zwischen Dalston und Hoxton. Dann biegen wir über eine neue Brücke auf die ehemalige East London Line. In Wapping steigen wir aus um den merkwürdigen Bahnhof zu erkunden. Erst mal fallen die extrem schmalen Bahnsteige auf. Der Bahnhof liegt teils im Tunnel, teils in einem oben offenen Schacht. Es gibt einen Lift, die vielen Treppen sind wie im Inneren eines Kirchturms angeordnet. Direkt am Süd-Ende des Bahnhofs beginnt der Thames Tunnel, der weltweit älteste Tunnel unter einem Fluss. Die Bauarbeiten dafür dauerten von 1825 bis 1843 unter abenteuerlichsten Umständen. Wir fahren unbehelligt durch den Tunnel.
Der Streckenabschnitt von Surrey Quays nach Clampham Junction ist immer noch gesperrt. Deshalb wählen wir als neues Ziel Crystal Palace. Auch dieser Bahnhof ist architektonisch recht interessant. Es ist ein Keilbahnhof, bei dem das Bahnhofsgebäude allerdings aufgrund der topografischen Gegebenheiten nicht zwischen den beiden Ästen, sondern über der Streckenverzweigung liegt. Direkt dahinter ist ein kurzer offener Abschnitt, dann mündet die Strecke in einen Tunnel. Es gibt noch einen stillgelegten höheren Bahnhofsteil mit einem in den 50er-Jahren zugemauerten Tunnel. Angeblich ist dort ein Zug drin, dessen Fahrgäste heute noch herumspuken.
Der ehemalige Glaspalast, nach dem der Bahnhof benannt ist, ist 1936 abgebrannt. Übrig ist nur noch eine viktorianische Terrasse mit bröckelnden Statuen, darüber eine nachgebaute Ecke des Palastes. Wegen der erfolglosen Suche nach einem Aussichtspunkt reicht die Zeit nicht mehr für die Besichtigung der steinernen Dinosaurier von 1854 oder des Labyrinths.
Weiter geht es mit dem Zug nach Victoria. In Clapham Junction steigen wir aber aus. Der Bahnhof Clapham Junction ist „the busiest railway station in Europe“, wobei sich das nicht auf die Anzahl der Fahrgäste, sondern der Züge bezieht. Und tatsächlich – selbst am verkehrsschwachen Sonntagnachmittag, wo viele Linien ausgedünnt und manche gar nicht fahren – sind hier ständig Züge zu beobachten. In Spitzenzeiten fahren 180 Züge pro Stunde durch den Bahnhof, wovon 117 halten. Insgesamt sind das über 2000 Züge pro Tag.
Im Prinzip ist Clapham Junction ein Keilbahnhof mit vielen Keilen wie ein Fächer, zwischen denen auch noch ein Bahnbetriebswerk liegt. Auch das ganze Umfeld ist eine gigantische Eisenbahn-Landschaft mit nur wenigen grauen Wohnblocks am Rand. Würde ein Modellbahner sowas bauen, würde man das für eine völlig unglaubwürdiger Übertreibung halten.
Wir schauen uns den Trubel eine halbe Stunde an, dann fahren wir mit der anderen Overground-Linie ins Hotel.
Montag – Romney, Hythe & Dymchurch Railway
Am Montagmorgen verlässt uns einer gen Heimat, wir sind dann nur noch sieben. Heute nehmen wir uns die „smallest public railway in the world“ mit der Spurweite von 381 mm vor: die „Romney, Hythe & Dymchurch Railway“. Natürlich gibt es kleinere Bahnen sowohl von der Spurweite und erst recht von der Streckenlänge. Das sind immerhin 13½ Meilen (21,7 km). Es dürfte aber die einzige Liliputbahn sein, die ein reguläres Verkehrsbedürfnis befriedigt und nicht nur Touristen durch einen Schlosspark kurvt. Sogar Schülerzüge gibt es. Und im Krieg sind angeblich Truppentransporte damit durchgeführt worden. Einen touristischen Anspruch hat die 1927 eröffnete Bahn nie gehabt, es gibt auch entlang der Strecke nichts zu sehen, ein Reiseführer behauptet sogar, dass die trostlose Marschlandschaft Depressionen erzeugt. Also beste Voraussetzungen um das Bähnchen mal auszuprobieren.
Zuerst muss man mal hinkommen. Von Charing Cross gibt es Züge nach Ramsgate, die werden unterwegs geteilt und der Teil, der über Folkestone fährt, ist der richtige. In Sandling, einem winzigen Provinzbahnhof, der noch den Charme der 60er-Jahre ausstrahlt, steigen wir aus. In Sichtweite brettert der Eurostar vorbei, kurz bevor er im Tunnel nach Frankreich verschwindet. Nun geht es ein längeres Stück an einer Straße entlang und dann zeigt uns der Online-Kartendienst OpenStreetMap eine Abkürzung. Den Weg gibt es tatsächlich, aber in einem Zustand – da war die Brennesselpiste vom Samstag entlang der Metropolitan Line eine wahre Prachtallee. Noch ein paar Straßen mit einem steilen Berg hinunter, von dem man das braune(!) Meer sieht, und nach einer Dreiviertelstunde haben wir den Kleinbahnhof „Hythe“ erreicht.
Ein Zwölf-Wagen-Zug mit einer Dampflok erwartet uns. Ein Wagen hat 16 bis 20 Sitzplätze. Mit 25 mph (40 km/h) brettern die Züge über die meist zweigleisige Strecke. In New Romney ist der Betriebsmittelpunkt. Wir steigen hier zunächst aus, weil es hier eine Bahnhofskneipe gibt, eine Modellbahn, den obligatorischen Shop und vielleicht kann man auch mal was vom Betrieb sehen. Die haben immerhin einen Fuhrpark von 11 Dampf- und 2 Dieselloks, von denen 5 für den aktuellen Planbetrieb eingesetzt werden.
Nach einer ausgiebigen Pause setzen wir die Fahrt auf der nun eingleisigen Strecke fort. Auf der rechten Seite gibt es keine Bäume und keine Sträucher mehr, nur eine unendliche Kieslandschaft mit ein paar Grasbüscheln und einzelnen krautähnlichen Gewächsen. Links gibt es eine kilometerlange Reihe von Häusern. Die Bahn fährt entlang den Hinterhöfen mit Mauern und Geräteschuppen. Wo man mal einen Blick in einen Garten erhaschen kann, sieht man, dass da drin genausoviel wächst wie draußen – nichts! Irgendwie kann man sich vorstellen, dass es am Rand der Townships von Pretoria ähnlich aussieht...
Die südliche Endstation Dungeness liegt sozusagen an der Südostecke Englands in einer weitläufigen Wendeschleife. Hier gibt es neben dem Bahnhof die bereits beschriebene Kieslandschaft, einen Leuchtturm, einen historischen Leuchtturm mit Museum, ein Pub im amerikanischen Bretterbuden-Stil und ein Kernkraftwerk!
Trotz der Trostlosigkeit beschließen wir einen Zug zu überspringen und die „Landschaft“ näher zu erkunden. Zunächst wird der Museums-Leuchtturm bestiegen. Dann gehen wir über einen Bretterweg zum Kiesstrand. Wir schauen kurz der Brandung zu, dann pressiert es schon wieder, damit wir den letzten Zug bekommen. Während der Fahrt brauen sich im Westen Unwetterwolken zusammen, was der Gegend noch einen gespenstischeren Eindruck verleiht. In New Romney bekommen wir eine Diesellok vorgespannt, von Hythe fahren wir mit dem Bus zum Bahnhof Sandling. Der Zug hat ein paar Minuten Verspätung, und damit er wieder pünktlich wird, wird in Ashford angekündigt, dass der Zug einfach an den nächsten vier Stationen durchfährt.
Vom Zug aus sehen wir, wie das Parlament gerade schön in der untergehenden Sonne steht. Spontan machen wir noch einen Kurztrip auf die Fußgängerbrücke, die direkt neben dem Bahnhof Charing Cross die Themse überquert. Dann besichtigen wir noch den Bahnhof Waterloo, dessen riesige Halle Erstaunen hervorruft.
Dienstag – Southend Pier und Londoner Parks
Eine Bahn-Kuriosität haben wir noch auf Lager: die Southend Pier Railway. Die Stadt Southend-on-Sea behauptet, die längste Seebrücke der Welt zu haben (2160 m). Und weil das so weit ist braucht man freilich eine Bahn. Damit wir Wasser und nicht nur Schlick unter den Schienen haben wurde der Tideplan studiert und danach der Termin für unsere Fahrt festgelegt.
Also fahren wir zuerst mit der District Line zum Tower Hill. Ein kurzer Fußweg bringt uns zum Bahnhof Fenchurch Street, einem der kleineren Kopfbahnhöfe Londons. Der Zug fährt zunächst parallel zur District Line bis Uxbridge und später an der Küste entlang mit Meerblick. In Southend steigen wir aus. Durch die Fußgängerzone geht es zur oberen Promenade. Über einen Park mit steilen Wegen oder per Aufzug kann man die untere Promenade erreichen. Unter dem Aufgang zur Seebrücke liegt der Bahnhof der Pier-Bahn. Normalerweise pendelt ein Zug im Halbstunden-Takt, wenn viel los ist, kann auch ein zweiter Zug eingesetzt werden, denn in der Mitte der Strecke gibt es eine Ausweiche. Die Spurweite beträgt 914 mm.
Wir fahren übers Meer! Nach 10 Minuten Fahrt ist das Ziel erreicht, aber außer einem unwirtlichen Café in einer nahezu fensterlosen Beton-Kiste ist hier nichts, also fahren wir einen Zug später wieder zurück. Zum Mittagessen trennt sich die Gruppe, ein Teil fährt mit der Southend Cliff Railway (Schrägaufzug mit einer Höhendifferenz von 17 m und einer Spurweite von 1372 mm) und später trifft man sich wieder am Bahnhof.
Es bleibt noch Zeit für zwei Parks in London. Vom Bahnhof Fenchurch Street geht es wieder durch ein paar Gassen zum U-Bahnhof Tower Hill. Dann mit der Circle Line zum Monument. In Monument/Bank umzusteigen ist schon ein Erlebnis, denn hier ist das größte Wirrwarr an Bahnsteigen, Treppen, Rolltreppen, runden und eckigen Gängen mit diversen Verzweigungen im ganzen Londoner U-Bahn-Netz. Irgendwie kämpfen wir uns zur Central Line durch, dann fahren wir zum Marble Arch. Der Triumphbogen war ursprünglich zur Ergänzung des Buckingham Palastes gedacht, dort wollte ihn aber keiner haben und deshalb steht er jetzt an der Nordost-Ecke des Hyde Parks. Hier ist auch das berühmte Speakers Corner, es ist aber keiner da, der seinen Senf loswerden will. Da gibt es ja mittlerweile auch andere Methoden (Facebook & Co.).
Gleich in der Nähe ist ein besonderes Kriegerdenkmal. Da geht es aber nicht um irgendwelche Helden-Soldaten mit durchlöcherten Helmen, sondern um die Tiere, die in den beiden Weltkriegen umgekommen sind. Mal was anderes!
Der Hyde Park besteht eigentlich nur aus einer großen Wiese mit Baumreihen, die das Gelände einrahmen und unterteilen. In der südlichen Hälfte ist der Serpentine See. Es gäbe noch ein paar kleinere Sehenswürdigkeiten, aber der überlaufene Park kommt bei der Gruppe nicht so recht an.
Von Knightsbridge fahren wir mit der U-Bahn nach Hampstead, freilich mit Umsteigen über viele Treppen und runde Gänge. In den runden Zügen nimmt man unweigerlich akrobatische Formen an, wenn man im Berufsverkehr zwischen den eigenwilligen Formen des Wagenkastens und den darin befindlichen Menschenmassen eingekeilt ist. Aber da Demophobe oder Klaustrophobe hier definitiv nicht mitfahren können ist die Stimmung immer entspannt.
Der U-Bahnhof Hampstead auf der Northern Line ist mit knapp 60 m unter Tage die tiefstgelegenste U-Bahn-Station Londons. Es gibt aber vier Aufzüge und eine Wendeltreppe mit über 320 Stufen („do not use except in an emergency“). Also im Notfall kann man ja schnell mal hinaufrennen.
Nach dem Passieren einiger schmaler Gassen und kleinen Straßen durch das durchaus ansprechende Viertel gelangen wir an den Waldrand von Hampstead Heath. Das ist ein großer naturbelassener Park mit uralten Bäumen, großen Wiesen und etlichen Teichen. Die Gegend ist ziemlich bucklig und so ist der „Parliament Hill“ zwar nicht der höchste Punkt aber der mit der besten Aussicht. Nach einem kurzen Streifzug durch den Park erreichen wir den Aussichtspunkt und genau in diesem Moment fängt es heftig zu regnen an. Während wir im Gebüsch auf trockenere Zeiten warten erscheint eine paramilitärische Gymnastikgruppe, deren Teilnehmer eine knallrote Uniform anhaben und von einem Trainer lautstark herumkommandiert werden. Mit dem Verschwinden dieser merkwürdigen Erscheinung hört auch der Regen auf.
Durch eine Straße mit typisch englischen Reihenhäusern gehen wir hinunter. Der Architektur sieht man aber an, dass das hier nicht das Arme-Leute-Viertel ist. Kurz vor dem Overground-Bahnhof erreichen wir ein nettes Pub, wo wir gut Abend essen und eine Empfehlung des Hauses – saueres Bier – genießen.
Mittwoch – Grand Union Canal und Richmond Park
Weil die Kanalwanderung in Watford bei den Teilnehmern so gut angekommen ist, werden wir uns am letzten Tag die Hanwell Locks am Great Union Kanal vornehmen. Dazu fahren wir erst mal mit der District Line nach Ealing Broadway, dann mit dem Bus zur Iron Bridge. Ein kurzes Stück müssen wir an einer großen Straße entlang marschieren aber dann geht es hinunter zum Kanal. Genau an der Stelle, wo die Straße über den Kanal führt, geht unter dem Kanal noch eine Eisenbahnstrecke durch.
Der Kanal muss hier einen größeren Höhenunterschied überwinden. Dazu gibt es sechs Schleusen kurz hintereinander mit einer Gesamt-Förderhöhe von 16,2 m. Im Gegensatz zum letzten Jahr, wo wir die Schleusentreppe schon mal besichtigten, ist heute hier richtig Betrieb. Alle Schleusen sind handbetrieben und müssen von den Bootsführern selbst bedient werden. Da gibt es viel zu sehen.
Aber wir müssen weiter. Wir folgen dem Kanal noch ein ganzes Stück abwärts bis zur Brentford Lock kurz vor der Mündung in die Themse. Dabei wechselt der Weg mal die Seite und führt durch eine Halle mit einem überdachten Dock. Rund um die Brentford Lock ist ein Neubauviertel entstanden, das auch nicht nach Sozialwohnungen aussieht.
Wir verlassen nun den Kanal und gehen Richtung Syon Park. Das Eintrittsgeld in den Park sparen wir uns. Man hat trotzdem einen schönen Weg und einen guten Blick auf das Schloss. Danach erreichen wir die Themse. Das Ufer ist aber etwas verbaut, so dass wir nicht durchgehend bis zur Richmond Lock am Fluss entlang gehen können. Es ist nur wenig Wasser da, die Boote liegen teilweise auf dem Trockenen, das Wehr ist geschlossen, so dass die Themse-Schiffe durch die Schleuse müssen. Die pastellfarben angestrichene Eisen-Konstruktion mit etlichen Schnörkeln wurde 1894 eröffnet und sieht richtig kitschig aus. Das Wehr kann auch als Fußgängerbrücke genutzt werden und so wechseln wir die Seite.
Jetzt sind wir in Richmond und gieren nach Essen und Trinken. Der bayerische Biergarten kommt nicht mehr in Frage also gehen wir in das Pub, wo wir abends schon mal waren. Frisch gestärkt brechen wir zur zweiten Etappe des Tages auf. Weil die Zeit schon recht fortgeschritten ist lassen wir die Petersham Meadows weg und fahren mit dem Bus direkt nach Petersham. Hier gibt es einen Eingang in den Richmond Park.
Der Richmond Park ist mit 10 km² der größte Park in London. Früher war das ein königliches Jagdgebiet, heute ist er der größte ummauerte Park Europas in einem städtischen Gebiet. Hauptattraktionen sind eine Herde von über 600 Hirschen, die im Park frei umher laufen, sowie die Isabella Plantation, ein Gebiet mit zahlreichen seltenen Pflanzenarten.
Wir gehen erst mal einen Trampelpfad über eine Wiese steil bergauf, denn dort oben soll der „King Henry VIII‘s Mound“ sein, ein Hügel, von dem man die St. Pauls Cathedral sehen soll. Dazu ist eine ganz schmale Schneise frei gehalten und wenn ganz gute Sicht ist, man selber ganz gut sieht und ganz genau hinschaut, dann kann man tatsächlich die 16 km entfernte weiße Kuppel sehen. Die Aussicht auf die andere Seite ins Themse-Tal ist zwar besser, dort gibt es aber nichts Spektakuläres zu sehen.
Im Park gibt es eine Ringstraße für Autos. Da ist auch viel los, obwohl die nur 30 km/h fahren dürfen. Direkt neben den Autos sehen wir auch zwei Hirsche. Wenn man sich weiter ins Innere des Parks begibt, dann wird es ziemlich einsam. Es gibt nur wenig große Wege, das meiste sind Trampelpfade. Manchmal sehen wir auf den weiten Wiesen keinen einzigen Menschen. Wenn man sich vorstellt, dass im selben Moment nur ein paar Kilometer weiter Millionen Menschen durch enge runde Tunnels drängen...
Dieser Park ist wieder ganz anders als alle anderen, die wir bisher gesehen haben. Wir durchqueren auch die Isabella Plantation. Die ist extra eingezäunt, damit die Hirsche nicht die seltenen Pflanzen fressen. Dann geht es nochmal über eine große Wiese, durch Wald mit meterhohem Farn und schließlich durch das Ladderstile Gate wieder in städtische Gefilde. Mit dem Bus, den man extra anhalten muss, und der U-Bahn fahren wir wieder Richtung Hotel.
Heute ist unser letzter Abend in London. Wir gehen in unser Lieblingspub „Atlas“ in der Nähe des Hotels. Aber eine Herde kreischender Tussies am Nachbartisch macht uns den Abschied leichter.
Donnerstag – Rückreise
Aus tariflichen Gründen haben wir uns für die Rückfahrt bei der SNCF bedient. Das heißt wir fahren mit dem Eurostar nach Paris und von dort mit dem TGV nach München. Allerdings nur 2. Klasse. Die meisten Teilnehmer lassen sich die Oyster-Card auszahlen und tauschen die übrigen Pfunde zurück. Das Prozedere beim Einchecken kennen wir ja schon und mit einem Zwischenhalt in Ebbsfleet geht es direkt nach Paris Nord. Inzwischen kann man die Uhr wieder auf MESZ stellen. Der Fußweg nach Paris Est ist nicht weit, dort machen wir Mittag und müssen dazu erst mal wieder unsere Euronen auspacken. Nach über eine Stunde Aufenthalt flitzt der TGV mit 310 km/h durch Frankreich, etwas langsamer durch die Vogesen, dann wieder etwas schneller bis Karlsruhe und über Bruchsal nach Stuttgart. Dann geht es langsam durch das europäische Nadelöhr (wobei damit nicht der Stuttgarter Hauptbahnhof gemeint ist), ab Augsburg wieder deutlich schneller. Pünktlich sind wir in München.
Bei der „Nachsitzung“ im Gasthaus gegenüber des Hauptbahnhofs sagt uns die Bedienung, dass es keine Pfifferling-Suppe mehr gibt, weil die Pilze aus Russland kämen und jetzt plötzlich extrem teuer geworden sind, so dass sich das Wirtshaus keinen Pfifferling mehr leisten kann. Da wissen wir, dass wir wieder im alltäglichen Irrenhaus angekommen sind.
Fotos: Peter + Wolfgang, München
Peter, München